14.01.2023 · Marktl · Geburtshaus
Am 14. Januar 2023 hielt Dr. Franz Haringer in Vilshofen die nachfolgende Predigt:
Heute vor zwei Wochen erreichte uns die Nachricht vom Tod des emeritierten Papstes Benedikt XVI. Viel ist seitdem über ihn zu hören, zu lesen, zu sehen gewesen. Langsam legen sich die vielen Eindrücke wieder, so dass wir uns heute sammeln und in diesem Gottesdienst an ihn denken und für ihn beten wollen.
Das Leben und Wirken von Joseph Ratzinger / Benedikt XVI. möchte ich unter zwei Stichwörter stellen: Lehrer und Hirte.
Schon früh hatte der junge Theologe Joseph Ratzinger erkannt, dass es seine besondere Begabung ist, das im Glauben Erkannte und Verstandene weiterzugeben. Lehrer der Theologie wollte er werden. Die Stationen seiner Laufbahn sind bekannt: an verschiedenen deutschen Universitäten und als Berater des Kölner Kardinals Frings während des Zweiten Vatikanischen Konzils in den 1960-er Jahren. Wer ihm damals im Hörsaal zugehört hat, wer seine Schriften gelesen hat, war vielfach beeindruckt von der Fülle des Wissens, von der Klarheit der Ausführungen und von der Eleganz und Schönheit der Sprache. Ja: Was ich wirklich verstanden habe, das kann ich auch klar ausdrücken. Worin ich tatsächlich beheimatet bin, das kann ich auch anderen darlegen. Doch nicht nur eine intellektuelle Beheimatung im Stoff seines Fachs war bei Professor Joseph Ratzinger zu spüren. Vielfach ist auch seine Beheimatung im Glauben gerade in seinen theologischen Veröffentlichungen deutlich geworden: Da staunt einer auch in hohem Alter noch über das Geschenk des Glaubens, das er in seiner Heimat und von seiner Familie empfangen hat. Da lässt sich einer anrühren vom Kirchenjahr, von der Liturgie, von der Musik und den christlichen Bräuchen. Manchmal hatte ich den Eindruck: Da blitzt auch beim Kardinal und Papst wieder der kleine Bub Joseph auf, der nichts anderes will als den Glauben zu verstehen, zu feiern und anderen als Lehrer weiterzugeben.
Lehrer, Professor sein – so verlief der Lebensweg von Joseph Ratzinger bis zu seinem 50. Lebensjahr. Dann aber kommt zum Lehrersein auch der Ruf in die kirchliche Verantwortung hinzu – der Ruf, Hirte zu sein, obwohl er selber – wie er offen sagte – eine „Fremdheit gegenüber Aufgaben der Leitung und der Verwaltung“ empfand. Ein bisschen ging es ihm da wie den beiden Heiligen, denen er als junger Theologe seine Forschung gewidmet hatte: Augustinus, der sich am liebsten nur zu geistreichen Gesprächsrunden zurückgezogen hätte, aber sich dann doch als Bischof in Dienst nehmen ließ, um sich der Sorgen der einfachen Leute anzunehmen. Und Bonaventura, der Professor in Paris, der sich im 13. Jahrhundert als Ordensoberer der Franziskaner verpflichten ließ, um seinen Orden in bedrängter Zeit zusammenzuhalten.
Aus dem Lehrer und Professor wird nun der Bischof und Kardinal, vor allem der Präfekt der Glaubenskongregation, jahrzehntelang in den Medien immer mit den gleichen grimmigen Fotos abgedruckt. Doch wer Joseph Ratzinger näher kannte, wusste: Wenn er manche klare Entscheidung treffen musste, dann nicht aus autoritärem Gehabe, sondern um die Wahrheit des Glaubens und die Eindeutigkeit der Lehre zu schützen. Es ging ihm nicht um seinen Ruf, um sein Bild in den Medien, sondern darum, den einfachen Kern des Glaubens zu schützen und auch den Glauben der einfachen Leute. Der größte Glaubensbeweis, so sagte er mehrfach, sei die Güte und die Herzensfreude so vieler einfacher Gläubigen, denen ihr Leben aus dem Glauben zu echter Menschlichkeit verholfen habe.
In diesem Sinn hat Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. manche Angriffe selbsternannter Intellektueller auf den Glauben abzuwehren gewusst und seinerseits sein großes Thema immer neu zum Leuchten gebracht: Glaube und Vernunft schließen sich nicht aus, sondern sie beflügeln einander. Ein Glaube, der das Denken ausschaltet, ist unmenschlich. Vielmehr ermuntert der Glaube gerade dazu, alle Mittel des Denkens einzusetzen, um ihn besser zu verstehen. Und eine Vernunft, die den Glauben von vornherein als unvernünftig ausschließt, amputiert sich selbst. Vielmehr öffnet der Glaube gerade der Vernunft neue Horizonte, um aufzuzeigen, dass die unsichtbaren Dinge die Welt zusammenhalten: Wahrheit, Vertrauen, Güte, Liebe – im letzten der Gott, der selber Liebe und Logos, Güte und Sinn in Person ist.
Ja, es waren eindrucksvolle Jahre als Benedikt XVI. Papst war: Die Begeisterung während der Weltjugendtage oder bei seinem Bayernbesuch. Die großen Reden vor dem Bundestag in Berlin, in London, Paris oder New York, als deutlich wurde: Wer heute als Christ glaubt, ist kein Hinterwäldler, sondern kann auf Augenhöhe mitreden mit den Denkern und mit den Verantwortlichen unserer Zeit.
Ich möchte schließen mit einer persönlichen Erinnerung: Letzten Mai, kurz nach seinem 95. Geburtstag, durfte ich ihn mit dem Bürgermeister und mit dem Pfarrer von Marktl besuchen und ihm gratulieren. Er war körperlich schwach, das Sprechen fiel ihm schwer. Doch er nahm sich eine Stunde Zeit für uns, war neugierig auf unsere Berichte aus der Heimat und steuerte humorvolle Erinnerungen bei. Seine Augen strahlten, er nahm uns fest an der Hand und gab uns zuletzt seinen Segen mit auf den Weg.
Mir wurde klar: Auch wenn sein Leben ganz anders verlaufen ist, als er es sich vorgestellt hatte, lebte er aus der Dankbarkeit seinem Herrgott gegenüber, der ihn geführt hatte. Ja, der Glaube an den menschgewordenen Gott will uns nicht belasten und tausend Vorschriften aufbürden. Der Glaube an Jesus Christus will uns der Erdenschwere entreißen, uns heiter, gelöst und gelassen machen. So wie es Joseph Ratzinger / Papst Benedikt XVI. einmal selbst formuliert hat: „Glaube heißt Widerstand gegen die Schwerkraft, die uns nach unten zieht. Glaube heißt Gemeinschaft mit dem, der die andere Schwerkraft hat, eine, die uns nach oben zieht, die uns hält, und die uns auch über die Todeselemente hinüberführt.“ Amen.